Ich erinnere mich an eine kleine Meinungsverschiedenheit, die ich mit dem Ortsvorsteher meiner Heimatstadt hatte. Er berichtete über Jugendliche und deren Zerstörungswut in diesem kleinen Städtchen. Tatsächlich ist nichts vorgefallen, aber er homunkelte, dass es ja passieren könnte. Das wollte ich, selbst damals in jungen Jahren, natürlich nicht dabei belassen. also schrieb ich einen Leserbrief.
Das unterscheidet das "Früher" von "Heute": Mein Leserbrief nahm seinen Weg in die Redaktion des ortsansässigen "Käseblattes", wie wir es liebevoll nannten, wurde vom Redakteur gelesen, wenn nötig redigiert und bestenfalls abgedruckt. So geschehen erregte es einiges an Aufsehen, alleine, weil ich es wagte, jenen Menschen öffentlich zu kritisieren.
Genau das aber ist der Sinn von Meinungsfreiheit, dass eben nicht alle einer Meinung sein müssen und diese Verschiedenheiten zudem frei äußern dürfen und auch sollen. Und es ist eine Errungenschaft, die dem Menschen zu Teil wurde, nämlich kommunizieren zu können und zwar weit über das Gebelle, Gekrähe und Gepiepse seiner tierischen Vorfahren hinaus.
Die mussten und müssen sich weitestgehend nach ihrer emotionalen Lage verhalten, die allen anderen Denkebenen im limbischen System vorgeschaltet sind - in einem Teil des Gehirnes aus grauen Vorzeiten, der aber immer noch recht aktiv ist.
Genaugenommen sind es letztendlich 3 Millimeter, die über unsere Fähigkeit zu sprechen, entscheiden. So dick nämlich ist unsere Hirnrinde, der Neocortex, indem sich das zusammenbraut, was wir dann aussprechen oder zu Papier bringen.Ohne dies wäre es kaum möglich gewesen, eine Gesellschaft aufzubauen, wie wir sie derzeit vorfinden, mit derart differenzierten Strukturen und Meinungen.
Bis zu dieser Entwicklung lebten die Wesen dieser Erde - wie gesagt - vorwiegend nach ihren Emotionen, die spontan entscheiden, was gerade zu tun ist.
Neben der Sprache war es dann die Schrift, die es ermöglichte, derartige Meinungen auch über die direkt erreichbaren Personen hinaus zu verbreiten. Der Buchdruck verlieh ihr weiter ungeahnten Popularität, denn nun waren der Verbreitung von Meinungen kaum noch Grenzen gesetzt. Als letzter Milestone sei das Internet genannt. Wegen der zahllosen Webseiten müssen wir nun nicht mehr teuer Papier bedrucken, um unseren Unmut oder gar unsere Freude mitzuteilen - es genügt ein "Post" auf einer Webseite oder auf einer der zahlreichen Seiten, die wir, weil so viele draufgucken, social medias nennen.
Mit all diesen Möglichkeiten und mit der Anhäufung von Meinungen und vermeintlichen Wahrheiten, vor allem aber mit der Geschwindigkeit, um nicht zu sagen Echtzeit, in der wir unseren Gefühlen Ausdruck verleihen können, kommt etwas hinzu, was wir bisher nicht einmal von der Sprache gewohnt waren. Denn hier ist das gesagte Wort zwar gesagt, im Moment des Aussprechens aber auch schon wieder verflogen. Wir haben die Möglichkeit, richtig zu stellen, es anders gemeint zu haben und auch zu revidieren. Was aber in einem Forum steht, das steht. Es mag der momentane Ausdruck unsere Emotionen sein, steht aber auf ewig da.
Damit umzugehen, das ist vielleicht die größte Herausforderung der sozialen Netzwerke, in denen eben schnell mal das persönliche Empfinden zum Ausdruck gebracht wird, die Wirkung aber umso langlebiger ist. Da wird diskreditiert (gedissed), diffamiert, über einen Kamm geschoren und debattiert.
Wer hier anderer Meinung ist, dem muss man nicht unbedingt begegnen, um sich "auszutauschen", sondern gegen den kann man schießen, wie es gerade beliebt. Wer die meisten "Freunde" oder "Follower" hat, der sitzt am vermeintlich längeren Hebel und wenn gar nichts mehr hilft, dann- platsch - verschwindet er von der Freundesliste. Zur Deutlichmachung wird dann noch schnell der Status von "ist in einer Beziehung mit ..." auf "ist single" geändert.
Die Schnelllebigkeit des Mediums gebietet, dass man rasch auf den Punkt kommt und möglichst drastisch darlegt, was man denkt und fühlt, denn schnell gilt es, Meinungen zu noch anderen Themen in noch anderen Diskussionen abzugeben. Differenzieren und ausgewogen zu argumentieren fällt flach, zumal der Post schnell noch an der Supermarktkasse, nach dem dritten Bier in der Kneipe oder in der überfüllten S-Bahn abgegeben wird.
Mag sein, dass es en vogue ist, zu allem, aber auch allem, seine Meinung niederschreiben zu müssen, die Leichtigkeit des Mediums aber täuscht grandios über die teils schwere Wirkung hinweg, und viel zu schnell werden Dinge geschrieben die, so zumindest hoffe ich bei manchen Posts, am End, sauber zu Ende gedacht, so nie gesagt worden wären.
Ergo: Wir müssen lernen, Sprache sinn- und zweckvoll einzusetzen, gerade weil sie mittlerweile so leicht und schnell verbreitbar ist und gerade weil Sprache so schwer und lange in den ewigen Datenbanken und somit in den entsprechenden Foren verweilt. Emotionen sind sicherlich der wichtigste Motivator, eine Botschaft zu verbreiten.
Die 3 Millimeter unserer Hirnrinde aber sollten immer das letzte Wort haben, denn sonst haben uns die neuen Medien nichts weiter gebracht, als dass Wut, Ärger und Hass einfach nur schneller verbreitet werden, als es früher der Fall war, statt ihnen in wenigstens einigermaßen durchdachten Botschaften zu begegnen.
Solche Dinge zu lernen, und das mag die gute Botschaft sein, dazu sind unsere 3 Millimeter übrigens auch in der Lage. Also lasst sie uns nutzen, sonst wäre dieser evolutionäre Schritt tatsächlich für die Hasen gewesen. Denen übrigens fehlt diese Eigenschaft weitestgehend.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen